Wirtschaft und System

Wirtschaft und System

„Wer noch lebt, sage nicht niemals. Das Sichere ist nicht sicher. So wie es ist, bleibt es nicht.“
(Bertold Brecht)

Die glauben, dass die Gier nach Geld zu Gutem führt auf dieser Welt“ heißt es in einem alten Joint-Venture-Song, der damit auf die Wurzel all der Probleme verweist, die heute um uns herum existieren. Die Annahme ist irrig, der Ansatz schon grundfalsch. Der britische Wirtschaftswissenschaftler John Maynard Keynes hat diesen Umstand in den zwanziger Jahren schon drastischer beschrieben. Er sprach davon, dass der Kapitalismus auf der merkwürdigen Überzeugung basiert, dass widerwärtige Menschen, die aus widerwärtigen Motiven widerwärtige Dinge tun, schon irgendwie für das allgemeine Wohl sorgen werden. Das klingt nicht nur zweifelhaft, das ist es auch: Eine gesellschaftliche Ordnung, die auf der strukturierten Ausbeutung ihrer Mitglieder beruht, ist keine menschenfreundliche Einrichtung, kann es auch gar nicht sein. Dieses dekadent-desaströse System befördert schlussendlich widernatürliches Geschachere, das Anhäufen von und Protzen mit materiellen Reichtümern. Ein verantwortungsloses Hauen und Stechen um Geld, Macht und Profit. Die Menschheit kann, darf und wird sich damit nicht abfinden. Im Gegenteil: Den zugespitzten Zwängen und zunehmenden Zumutungen, den zahllosen Angriffen des kapitalistischen Systems auf uns und unser Leben, auf unsere Würde und unsere Selbstbestimmung gilt es, lautstark und deutlich vernehmbar etwas entgegenzusetzen. Antikapitalismus ist angesagt.

Ein wiederkehrendes Problem in der öffentlichen Auseinandersetzung ist die dreiste Verkoppelung von politischem System und ökonomischer Struktur: Da wird suggeriert, dass parlamentarische Demokratie und kapitalistische Marktwirtschaft untrennbar zusammengehörten und quasi dasselbe seien. Diese Gleichung ist gleichermaßen unsachlich wie unredlich, obwohl  es unbestritten ist, dass Politik und Wirtschaft auf vielfältige – meist bedenkliche – Art und Weise miteinander verwoben sind. Die herrschende Logik versucht seit jeher diese tradierte Verbundenheit als alternativlos zu verkaufen. Nun sind aber Alternativen grundlegende integrale Bestandteile von demokratischen Prozessen und die herrschende Logik ist immer die Logik der Herrschenden. Es gilt, dieses Gedankengebäude aufzubrechen und die herrschenden Eigentums- und Machtverhältnisse zu erfragen und zu verändern. Was im Übrigen völlig verfassungsgemäß ist, denn die oft zitierte freiheitlich-demokratische Grundordnung reduziert sich nicht auf ein bestimmtes Wirtschaftssystem. „Was gehört aus welchen Gründen wem?“ lautet die Kernfrage jeder Gesellschaft. Der historischen Entwicklung entsprechend, wird politische Macht nicht mehr vererbt, wirtschaftliche Macht aber sehr wohl. Dieser ökonomische Feudalismus ist die Crux. Es ist zu begrüßen, dass das ausgegangene Jahrhundert durch die sukzessive Zunahme politischer und bürgerlicher Rechte gekennzeichnet war. Gleichzeitig ist zu konstatieren, dass deren Wirkungsgrad dennoch abnimmt, die Parameter politischer Einflussnahme reduziert bleiben. Das Unternehmertum agiert außerhalb demokratischer Kontrollmechanismen und bestimmt weiterhin wesentlich den Spielraum der gesellschaftlichen Verhältnisse und Beziehungen. Weithin regiert der Zwang zu Akkumulation und Überproduktion, Extraktivismus und Destruktivismus, Externalisierung und Monopolisierung. Der Gott der Vierteljahresbilanz mit seiner Religion der Sachzwänge.

Man möge sich der Notwendigkeit beugen, dem Unvermeidlichen fügen und das Beste draus machen. Diese Schlussfolgerungen, die sich ursächlich in marktorientierter und neoliberaler Denk- und Handlungsweise begründen, bestimmen seit den achtziger Jahren zunehmend Regierungspolitik und Gesetzgebung. Einflussreichen Ökonomen wie Friedman oder Von Hayek folgend, strukturierte die damalige Thatcher-Regierung Staat und Gesellschaft grundlegend um und begründete die TINA-Politik – There is no alternative! Indem man Handlungsweisen als alternativlos deklariert, erhebt man sie de facto in den Rang eines Naturgesetzes. Was von Menschen gemacht, und demnach veränderlich ist, wird als unabänderlich, zwingend und schicksalhaft präsentiert. Dieses interessengesteuerte Argumentationsmuster ist in sozialdarwinistischer Weltanschauung verwurzelt und kulminiert in der Propagierung von Egoismus und Konkurrenzprinzip. Obschon Forschung und Wissenschaft mittlerweile die Überzeugung teilen, dass der Grundmechanismus der Evolution die Kooperation ist, deklamiert die Wirtschaft Gier, Neid oder überkommene Besitzstandslogik als naturgegebene menschliche Triebfedern. So lassen sich betriebliche Strukturen, gesellschaftliche Gruppen und ganze Staatengemeinschaften gegeneinander ausspielen. Gleichfalls gewaltige Dynamik entfaltet die Standortlogik, also die Umwidmung von Regionen, Ländern und Staaten in Wirtschaftsstandorte, die es ermöglicht, Gegenwehr zu reduzieren und das Solidarprinzip auszuhöhlen. Die permanente Drohung der Standortverlagerung vereinfacht den „Abbau überkapazitärer Mitarbeiter“ oder die „Entsorgung von Belegschaftsaltlasten“. Zynismen wie diese entstammen der Betriebswirtschaftslehre, die das Übel streut. Bekanntlich keine Wissenschaft im herkömmlichen Sinne, stellt sie vielmehr ein Gedankengebäude dar, gezimmert aus liberalen und neoliberalen Glaubenssätzen. Wohingegen ernsthaft an Ökonomie Interessierte die Volkswirtschaftslehre oder die Wirtschaftswissenschaften bemühen. Wer wirklich wissen will, was die Welt im Innersten zusammenhält, kommt überdies um die Betrachtung des wissenschaftlichen Sozialismus nicht herum. Bestehend aus historischem Materialismus und marxistischer Dialektik liefert er die Theorie des Zusammenhangs und der Entwicklung von Natur und Gesellschaft.

Von Alternativlosigkeit kann demnach eigentlich keine Rede sein. Die Überführung wesentlicher Allgemeingüter in Gemeinschaftseigentum würde Abhilfe schaffen, radikale Umverteilung scheint notwendig und angebracht. Das Primat der Politik gebietet gesetzgeberische Handlungsspielräume: Erhöhung von Kapitalertragsteuer und Spitzensteuersatz, Erhebung von Millionärs-, Erbschafts- und Vermögenssteuer, Einführung von Börsenumsatz- und Finanztransaktionssteuer. Attac-Aktivisten kippten unlängst eine Wagenladung Dung vors Kanzleramt, auf dem ein schönes Gleichnis prangte: Reichtum ist wie Mist – auf einem Haufen stinkt er, gut verteilt bringt er das Land zum Blühen. Sämtliche Armuts- und Reichtumsberichte der vergangenen Jahre belegen die verhängnisvolle Tendenz, wonach die Reichen reicher und die Armen ärmer werden. Ob man dem Paritätischen Wohlfahrtsverband oder dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung vertraut, der OECD oder der UNESCO – die Kapitalrendite übersteigt die gesamtwirtschaftliche Wachstumsrate überproportional. Besonders plakativ offenbaren die regelmäßigen Studien der britischen Entwicklungsorganisation Oxfam die sich zuspitzende Wohlstandsakkumulation weltweit. Demnach verfügt nur noch ein Prozent der Weltbevölkerung über mehr Reichtümer, als der gesamte Rest. Die 62 reichsten Menschen der Erde besitzen genauso viel wie die ärmere Hälfte der Menschheit zusammen, deren Verschuldungsrate zugleich exponentiell zulegt. Nun bilden bekanntermaßen die Verbindlichkeiten des einen, das Vermögen des anderen. Anders gesagt: Keine Schulden ohne Gläubiger. Aber das ist eine andere Geschichte…

Wie pervers der Kapitalismus ist, zeigt er schließlich auch damit, dass er aus seinem letzten großen Verbrechen – der nachhaltigen Zerstörung der Lebensgrundlagen von Menschheit und Natur – noch ein Geschäft zu machen versucht: den sogenannten Emissionsrechtehandel. Der Handel mit Klimaschutzzertifikaten wurde 1997 auf dem Klimagipfel von Kyoto beschlossen um den Kohlendioxidausstoß um 5 Prozent zu senken – mit der Folge, dass er um 50 Prozent gestiegen ist. Selbstverständlich (und absolut erwartbar) ist dieser Geschäftsbereich überdies zutiefst korruptiv durchdrungen. Das ist nicht minder verwerflich wie die massenhafte Monokultivierung landwirtschaftlicher Flächen zur Erzeugung von sogenanntem „Biosprit“. Oder die Veränderung der genetischen Eigenschaften von Lebensmitteln und deren Patentierung. Oder die Spaltung von Atomen zum Zwecke der vermeintlich günstigen Energieerzeugung. Oder das Handeln mit Agrarrohstoffen an Warenterminbörsen (Nahrungsmittelspekulation). Die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen. Das Perfide der marktwirtschaftlichen Systematik ist, dass sie nicht nur Probleme schafft, sondern gleichfalls Lösungsansätze zu verkaufen sucht. Sie ruiniert die Erde und bietet sich zugleich als Rettungsdienst an. Klimaveränderungen, Wirbelstürme und Überschwemmungen generieren Folgeaufträge: Neue Technologien, Schutzmechanismen und Infrastrukturen. Alles aus einer Hand gewissermaßen, da wird der Bock zum Gärtner gemacht. Ein besonders perfides Beispiel liefert der deutsche Nachhaltigkeitstag, auf dem sich seit 2008 Konzerne, Forschungseinrichtungen und Wirtschaftsverbände abfeiern, die, so heißt es, „vorbildlich wirtschaftlichen Erfolg mit sozialer Verantwortung und Schonung der Umwelt verbinden“. Die Liste der Preisträger entlarvt den plumpen Etikettenschwindel: Bayer, BASF, Siemens, Bosch oder Volkswagen. Das System macht keine Fehler, es ist der Fehler.

Es stimmt hoffnungsfroh, dass die bekannten Ungerechtigkeiten zunehmend benannt, kritisiert und angeprangert werden. Wir leben in Zeiten, in denen große Teile der Weltbevölkerung nicht mehr bereit sind, das fatale Wirken der „freien Märkte“ klaglos zu ertragen. Profit zu generieren bedingt weder Ethik noch Ästhetik, dem Kapitalismus liegt keinerlei moralisches Konzept zu Grunde. Er genügt sich selbst. Wir brauchen ihn nicht mehr, und dennoch ertragen wir ihn in Apathie und Lethargie, flüchten uns in Vereinzelung, Zynismus und den Rückzug ins Private. Hier greift die bekannte These des Philosophen Slavoj Zizek, der diagnostizierte, dass wir uns eher das Ende der Welt, als das Ende des Kapitalismus vorstellen können. Hollywood & Co haben ganze Arbeit geleistet. Der normierten Borniertheit medialer Paradigmen und Dystopien lässt sich aber etwas entgegensetzen: Die Kraft der Vorstellungen, der Wünsche und der Fantasie. Wenn die Entscheider die vorgeblichen Zwänge der Globalisierung bemühen, so halte man ihnen die Vision einer planetarischen Zivilgesellschaft entgegen. Wenn sie öffentliche Gelder in Milliardenhöhe einfordern, um sogenannte systemische Finanzinstitute zu retten, so verweigere man diese marode Rekapitalisierung. Wenn sie Menschen schamlos aufeinander hetzen, getreu ihrem Motto „Konkurrenz belebt das Geschäft“, dann ist das zurückzuweisen, denn Konkurrenz gehört zum Kanon des Kapitals. So wie Leistung, Wachstum und Wettbewerb. Diesem Mantra der Marktgläubigen stelle man Entschleunigung, Konversion und Nachhaltigkeit entgegen, gleichsam als Gebote der Vernunft, der Hoffnung und des Humanismus. Weil es eben doch Alternativen gibt. Marx hat analysiert, dass kapitalistischen Gesellschaften die Tendenz innewohnt, alles und jeden zum Gebrauchs-, Verbrauchs- oder Tausch-Objekt zu machen. Ich will nicht Ware sein, vielmehr Mensch.