Werbung und Wachstum

Werbung und Wachstum

„Es gibt einen Grad an Unterdrückung, der als Freiheit empfunden wird.“
(Ernst Jünger)

In seinem höchst empfehlenswerten, urbanen Zwischenkriegsroman „Fabian“ zitiert Erich Kästner an geeigneter Stelle den amerikanischen Schriftsteller H.G. Wells mit der Forderung „dass es an der Zeit sei, die Reklame nicht länger auf die Steigerung des Konsums von Seife und Kaugummi zu beschränken, sondern sie endlich ausreichend in den Dienst von Idealen zu stellen.“ Ein bewegtes Jahrhundert später ist zu konstatieren, dass der fromme Wunsch der Genannten trügerische Hoffnung geblieben ist. Historisch beispiellose Produktivitätssteigerungen und Kaufkraftentwicklungen, Vermarktungsmechanismen und Vertriebswege haben die Welt seither nachhaltig umstrukturiert und durchkommerzialisiert, sie letztlich unwiderruflichen Veränderungen unterzogen. Konsumwirtschaft und Werbeindustrie, Marketing und PR bleiben darauf ausgerichtet, Nachfrage für Dinge zu wecken, die die Menschheit bei nüchterner Betrachtung gar nicht braucht. Dem marktwirtschaftlichen Prinzip von Angebot und Nachfrage folgend, agieren Produktionsweise und Verteilungsmechanismen stetig kaufkraft- und gewinnorientiert. Während also für den überwiegenden Teil der Menschheit ein eklatanter Mangel am Lebensnotwendigsten zu konstatieren ist, werden gleichzeitig enorme Ressourcen in die Herstellung und den Vertrieb von überflüssigem Unsinn vorgehalten. Würde man Nachfrage durch Bedarf ersetzen, könnte sich grundsätzlich etwas ändern. Bedürfnisse und Bedürftigkeit träten entsprechend stärker in den Vordergrund, die Versorgung mit Nahrung, Kleidung, Wohnung, Bildung, Gesundheit wäre primär zu bedienen und flächendeckend zu gewährleisten. Diesbezügliche Tendenzen gibt es zwar immer wieder, zumeist erschöpfen sie sich aber in altruistischer Nischenbildung, bleiben auf lokale Teilmaßnahmen projektiert und reduziert. Die überregionalen bis globalen Wirtschafts- und Warenströme bleiben davon unberührt. Als elementare Bestandteile der makroökonomischen Wertschöpfungskette sind Medien und Werbung dienstbare Geister der tradierten Verteilungsformen. Gleichfalls durchdrungen von Profitorientierung und Marktpositionierung befördern sie auf jede erdenkliche Art und Weise die Beibehaltung den benannten Strukturen: Wachstums-und wohlstandsverpflichtet in der Zielsetzung, konkurrenz- und wettbewerbsgesteuert in der Ausrichtung, subtil bis zynisch in der Methodik. Achtung, Respekt und ein prinzipielles Verständnis ist den Leuten entgegenzubringen, die sich und ihre Arbeitskraft diesen Mechanismen bewusst und konsequent entziehen.

Das ökonomische Wachstum ist die ökologische Krise – und umgekehrt. Um die selbstgesteckten Klimaschutzziele zu erreichen und beispielsweise bis 2030 den pro-Kopf-Ausstoß von Kohlendioxid von 11 auf 2,7 Tonnen pro Jahr zu senken (CO2-Bilanz), müssten drastische Maßnahmen ergriffen werden. Gemäß dem Wuppertal-Institut für Umwelt, Klima und Energie müssten hierfür beispielsweise 75 Prozent der deutschen Flughäfen, sowie die Hälfte der deutschen Autobahnen zurückgebaut werden. Danach sieht es zurzeit nun überhaupt nicht aus, ungebremste Wachstumsideologie steht dem diametral entgegen. So wie Klimaschutz und Wirtschaftswachstum einander ausschließen, führt Wachstum als Selbstzweck unweigerlich zum Kollaps. Insbesondere Unternehmen aus dem produzierenden Gewerbe haben perfide Möglichkeiten entwickelt, den unheilvollen Wachstumsmotor permanent am Laufen zu halten. Sie stellen Produkte so her, dass sie nach einer fest bestimmten Zeit kaputt gehen und neu gekauft werden müssen. Der Einbau von Sollbruchstellen und minderwertigen Teilen führt zu einem schnellen Verschleiß und deutlich verkürzter Lebensdauer – idealerweise bis kurz nach Ablauf der Garantiezeiten und Gewährleistungsfristen. Das rasche Unbrauchbarwerden von Produkten, die sogenannte geplante Obsoleszenz (auch als gewollte Unterlassung bezeichnet) ist ein offenes Geheimnis und heute umfangreich belegt und dokumentiert. Das führt im Bereich der Automobilindustrie, vor allem aber bei den Herstellern von Haushaltsgeräten und Unterhaltungselektronik zu Unmengen von vermeidbarem Müll. Gerade der Lebenszyklus von herstellungsintensiven Geräten wie Waschmaschinen, Fernsehmonitoren oder Druckern hat sich in den vergangenen Jahren spürbar verkürzt, um die Nachfrage künstlich zu verstetigen. Das ist ein umweltpolitisches Desaster und das exakte Gegenteil von Nachhaltigkeit und Suffizienz, also einem verantwortlichen, möglichst geringen Rohstoff- und Energieverbrauch. Dieses unheilvolle System hat Methode und ist dementsprechend weit verbreitet. Dennoch möchte ich einen besonderen Konzern stellvertretend herausnehmen und mal einer näheren Betrachtung unterziehen. Die Firma Apple, die kundige Analysten gerne als wertvollstes Unternehmen der Welt beschreiben, lebt bekanntlich seit Jahrzehnten von pfiffigen Ideen, hochwertigen Produkten und einem besonders positiven Image. Weniger bekannt ist, dass Apple vor wenigen Jahren einen milliardenschweren Prozess gegen diverse unzufriedene Kunden, nur durch einen Vergleich in letzter Minute abwenden konnte. Die Klagen richteten sich gegen die von Apple perfektionierte Praxis, Geräte mit fest eingebauten Akkus zu versehen. Waren die Batterien leer, mussten die Produkte komplett ausgetauscht und weggeschmissen werden. Das Prinzip der dauerhaften Kundenbindung durch Nichtreparierbarkeit besteht bis heute fort, obwohl es zumindest in Deutschland inzwischen sogar ein Gesetz gegen fest verbaute Akkus gibt. Das Elektrogesetz spricht von Ordnungswidrigkeiten (gemäß §4 Produktkonzeption), die eigentlich mit Bußgeldern bis zu 100000 Euro geahndet werden sollen. Der Gesetzgeber bietet aber keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für ein behördliches Einschreiten, weshalb die Verantwortlichen weiter Scheisse bauen – im wahrsten Sinne des Wortes.

Häufig wird argumentiert, dass „die Kultmarke mit dem Apfel-Logo“ doch aber hervorragende Produkte herstellt. Das ist so falsch wie nur irgendwas, denn Apple stellt nicht her, Apple lässt herstellen. So wie andere Konzerne auch, vorzugsweise im asiatischen Raum, beispielsweise in China. Vor einigen Jahren räumte die Firma selbst ein, dass die dortigen Produktlieferanten Minderjährige beschäftigten und ihre Mitarbeiter giftigen Chemikalien aussetzten (N-Hexan). Nach einer Serie von 13 Selbstmorden beim Hauptzulieferer Foxconn im Jahr 2010 kündigte Apple Verbesserungen an. Immerhin. Besonders unsympathisch ist auch die langjährige Praxis, die Geschäftstätigkeiten über ein weitverzweigtes Geflecht an Töchter- und Briefkastenfirmen zu bilanzieren. So gelang es Apple, den 2011 außerhalb der USA erwirtschafteten Konzerngewinn von 38 Milliarden Dollar zu unverschämten 1,8 Prozent zu versteuern. Nachdem nun aufgefallen ist, dass das Unternehmen auch im Mutterland so gut wie gar keine Steuern zahlt, wurde der Vorstandsvorsitzende Tim Cook im Mai 2013 vor den US-Senat zitiert. Ein vierzigseitiger Untersuchungsbericht hatte zuvor Apples verworrenes Netz von Offshore-Firmen und deren dreiste Auslegung des amerikanischen Steuerrechts enthüllt. Der mittlerweile verstorbene US-Senator John McCain sprach von „einem der größten Steuervermeider“ und „unerhörtesten Missetäter“. Der Republikaner Rand Paul sinnierte resigniert: „Wenn du Apple bestrafst, bestrafst du nur dich selbst. Wir sind Apple“.

Die Apotheose des verstorbenen Firmengründers Steve Jobs zu einem Guru, Märtyrer und Heiligen ist sicherlich aus psychoanalytischer Betrachtung interessant, hier soll sie nur der Vollständigkeit halber erwähnt werden. Dankbare Subjekte der Verhaltensforschung sind sicherlich auch jene Kunden, Apostel und Patienten, die des Nachts vor Elektronikmärkten (Tempeln?) campieren, um als erstes eine Produktneuerscheinung zu erwerben. Gelingt dieses, lassen sich diese Vorzeigekonsumenten dafür abfeiern, beispielsweise ein brandneues iPhone erbeutet zu haben, das wenige Tage später mehrere hundert Euro weniger kosten wird. Diese Leute zählen sich nach eigener Zuordnung zumeist zu den Coolen, Hippen und Schönen. Meine Einschätzung tendiert hingegen eher zu bizarr bis befremdlich. Der Journalist und langjährige Feuilletonredakteur Hans-Dieter Schütt schrieb unlängst von „einer Welt, die den Einkaufsbeutel zur Reliquie erklärt, und vergessen machen möchte, dass darin das Wort Beute steckt, also auch eine Assoziation dessen, was Beute möglich macht: Ausbeutung“ (Quelle: nd, 4.5.2013). Treffender kann man es kaum formulieren. Der schöne neue Kapitalismus verzichtet heute weitgehend auf archaische Repressionsinstrumente, er bindet fröhlich ein. Dadurch, dass er nicht nur Waren, sondern auch gleich das passende Lebensgefühl produziert und eine unkritische Lebensweise propagiert, schafft er Scheinzufriedenheiten, die sich in Konsumismus, Hedonismus und Eskapismus manifestieren. Der manische Markenfetischismus der modernen Eventkultur (Ich kauf mir die Welt schön) führt zu totalitärer Gleichgültigkeit gegenüber allem, was sich nicht unter Nutzen, Karriere oder Besitz verorten lässt. Federführend ist dabei die Marketingindustrie, die somit den Dreiklang der Kommerzialität komplettiert: Werbung – Obsoleszenz – Kredit. Und doch, es geht sich nicht aus: Die Aneignung von materiellen Gütern generiert immer seltener Glück und Zufriedenheit, kurzzeitige Zustände von Befriedigung lassen sich nicht perpetuieren. Das begründet sich darin, dass Gier nicht durch Besitz gestillt wird, sondern durch Erwerb. Dadurch, dass man nicht einfach haben, sondern bekommen will, tritt keine Sättigung ein und der Trieb wirkt weiter.

Bahnbrechend innovativ war Apple auch bei der Entwicklung und Verbreitung von Mobiltelephonen der neuesten Generation, die technisch durchaus zu beeindrucken wissen. Als man diese Gerätschaften jedoch mit der Möglichkeit zeitlich unbegrenzter Nutzung (Flatrate) kombinierte, mutierten sie binnen kurzem zu einer neuzeitlichen Form der Heimsuchung. Immer mehr Menschen empfinden die Distanzlosigkeit, die sich darin äußert, dass immer mehr private Kommunikation in den öffentlichen Raum verlagert wird, als extrem unhöflich und störend. Der Hamburger Musiker Samy Deluxe bringt es auf den Punkt: „Ich lebe in einer Zeit, in der die Leute doof sind, aber die Telefone smart“. Einen Ausweg aus dem Dilemma bietet bezeichnenderweise wiederum die Unterhaltungsindustrie: Kopfhörer und Ohrstöpsel, z.B. von der Firma Apple. Der Kreis schließt sich, denn über iTunes lässt sich auch gleich gigabyteweise belanglose Musik einspeisen. Schöne neue Medienwelt. So wie die flächendeckende Einführung des PCs die Arbeitswelt keinesfalls vereinfacht hat, bereichern die moderne Mobilfunk- und Telekommunikationsgeräte unseren Umgang miteinander nur bedingt. Man postet Belanglosigkeiten in die neuen Medien und buhlt unmotiviert um Feedback, Rückmeldung und Bestätigung. Inhalte und Botschaften degenerieren zur Nebensache, die Mediensoziologie diagnostiziert neuartige Verhaltensmuster wie Smartphone-Versklavung und Facebook-Inkontinenz. Abgesehen davon, dass ständige Erreichbarkeit noch nie ein erstrebenswerter Zustand gewesen ist, droht durch die permanente Fixierung auf Gerätedisplays eine zunehmende Reduzierung der Horizonte. Technischer Fortschritt und geistige Verarmung liegen hier bedenklich nah beieinander und so rücken die sogenannten sozialen Netzwerke zunehmend in den Fokus der Bewusstseinsforschung. Mehr Rationalität im Umgang mit Online-Medien scheint angebracht. Also öfter mal abschalten, denn „selber denken heißt der oberste Probierstein“ (Immanuel Kant).