Verkehr und Umwelt

Verkehr und Umwelt

„Es wird eine Zeit kommen, da unsere Nachkommen sich wundern werden, dass wir so offenbare Dinge nicht gewusst haben.“
(Seneca)

Für die vorgebliche Freiheit, jederzeit überall hinfahren zu können, war die Gesellschaft bereit, einen hohen Preis zu zahlen: Umweltzerstörung, Landschaftszersiedelung und eine horrende Zahl von Toten, Verletzten und Behinderten. Der Frankfurter Autor Klaus Gietinger schreibt in seinem Buch „Totalschaden – Das Autohasserbuch“ sogar von der größten Massenvernichtungswaffe aller Zeiten. Eines steht unzweifelhaft fest: In knapp einhundert Jahren hat sich der fossile Verbrennungsmotor vom Segen zum Fluch für die Menschheit entwickelt. Mittelfristiges Ziel von Verkehrspolitik muss daher die Abkehr vom motorisierten Individualverkehr hin zu ökologischeren und vernünftigeren Verkehrsmitteln sein. Statt immer noch der Illusion einer autogerechten Stadt hinterher zu träumen, setze ich mich für eine moderne soziale und ökologische Verkehrspolitik ein: Kopf an, Motor aus! Dies impliziert neben stadt- und raumplanerischen Maßnahmen und dem Ausbau des öffentlichen Personenverkehrs auch eine deutliche Unterstützung der zunehmenden Nutzung des Fahrrades. Die Belange, Interessen und Bedürfnisse von Radlern müssen viel offensiver kommuniziert werden. In Kooperation mit Vereinen, Organisationen und Institutionen kann eine breitere Akzeptanz und ein Höchstmaß an Sicherheit für Rad fahrende Verkehrsteilnehmer erreicht werden. Gleichzeitig muss Autofahren in Städten wie Köln noch viel unattraktiver werden. Um die alte Leier vom gleichberechtigten Nebeneinander aller Verkehrsteilnehmer zu entkräften, sollte folgende Gleichung genügen: Wenn der Fahrradfahrer einen Fehler macht, ist der Fahrradfahrer tot. Macht der Autofahrer einen Fehler, ist auch der Fahrradfahrer tot. Wenn der eine auf 15-20 Stundenkilometer kommt, der andere aber mit 50, 60, 70 km/h unterwegs ist, kann das nicht zusammenpassen. Neben der Forderung nach einer autofreien Innenstadt, ist daher eine flächendeckende Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h einzuführen. Einer Untersuchung der Deutschen Polizeigewerkschaft von 2010 zufolge, steigt die Wahrscheinlichkeit bei einem Frontalzusammenstoß mit einem PKW getötet zu werden zwischen 30 und 50 km/h exorbitant an: von 10 auf über 80 Prozent. Ein Tempolimit auf Autobahnen und die Einführung einer City-Maut wären weitere kurzfristig zu realisierende Maßnahmen. Sie sind aber politisch nicht gewollt und so greift die altbekannte Maxime: Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten. Dass wir uns den motorisierten Individualverkehr auch finanziell nicht mehr leisten können, belegt eine Studie des Instituts für Verkehrsökologie (TU Dresden), die vor kurzem in Brüssel vorgelegt wurde. Resultierend aus Lärm, Unfällen und Umweltverschmutzung verursacht demnach jedes in der EU zugelassene Fahrzeug jährliche Kosten von 1600,- Euro durchschnittlich. Bezogen auf Deutschland kommt diese umfängliche Auswertung von Unfalldaten, Lärmkarten und Schadstoffemissionen auf einen Jahresschaden von ca. 88 Milliarden Euro. Freiheit hat ihren Preis, aber derartige Bilanzen sind volkswirtschaftliches Harakiri.

Ich anerkenne die alternative Basis, grünen Überzeugungstätern und Aktivisten bekunde ich meinen ausdrücklichen Respekt. Aber mit der Partei der Besserverdienenden und Marktgläubigen, gilt es bisweilen kritisch ins Gericht zu gehen. Bei keiner anderen Partei, die in Deutschland jemals Regierungsverantwortung übernommen hat, ist die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit derart frappant und die Bilanz dementsprechend. Die Grünen streben nach eigener Aussage eine „nachhaltige solidarische Wirtschaftsdemokratie“ an, praktizieren aber prinzipienlosen Pragmatismus. Die Grünen sind lediglich im Hier und Jetzt zu verorten und überhaupt nur vorstellbar, sie haben keinerlei historische Wurzeln oder geschichtliches Bewußtsein und negieren zukunftsorientierte Visionen und Utopien. Eine politische Vorstellung davon, wie eine Gesellschaft ausschauen könnte, die nicht der entgrenzten Steigerungslogik und dem Prinzip Wirtschaftswachstum folgt, geht ihnen völlig ab. Der Soziologe Harald Welzer hat Recht in seiner Analyse, dass „die Ökobewegung sich auf die Kritik der Auswüchse eines Wirtschaftssystems konzentriert, dessen Problematik nicht in seinen Fehlern, sondern in seinem Funktionieren besteht“. Und so erschöpft sich die Daseinsberechtigung der Realo-Partei strukturell darin, die eklatantesten Barbareien zu benennen, anzuklagen und mitunter auch sehr erfolgreich zu überwinden – Reformismus ist ihr Steckenpferd. So wurden beispielsweise im rot-grünen NRW weiter fleißig Kohlekraftwerke gebaut, obwohl hier bereits vier der zehn größten europäischen Dreckschleudern stehen (Frimmersdorf, Niederaußem, Weisweiler und Neurath). Im Sommer 2012 wurden unter dem Applaus von Ministerpräsidentin Kraft in Grevenbroich zwei neue Kohleanlagen in Betrieb genommen (BoA3 + 4). Der Braunkohleverbrauch dieser ominösen Blöcke beträgt 1600 Tonnen – pro Stunde! Insgesamt werden im Rheinischen Braunkohlerevier rund 100 Millionen Tonnen Braunkohle im Jahr verstromt. Der dabei anfallende Schadstoffausstoß über die geplante Laufzeit von 40 Jahren ist kaum zu beziffern und Garant dafür, dass NRW noch für Generationen Klimakillerland Nummer Eins bleibt. Immerhin haben sich die Grünen ein bisschen echauffiert, als Wirtschaft und SPD im Sommer 2013 den bizarren Vorschlag lancierten, den RWE-Konzern steuerlich zu subventionieren. Die heftiger werdenden Auseinandersetzungen erreichten einen neuerlichen Tiefpunkt, als im August 2015 eine Tausendschaft Polizei, flankiert von willfährigem Wachschutz und RWE-Sicherheitsdienst, die friedlichen Teilnehmer*innen der Braunkohle-Protesttage bei Garzweiler brutal auseinander prügelten (Ende Gelände). Hausfriedensbruch lautete der absurde Vorwurf des Konzerns, der seit Jahrzehnten ganze Regionen stört und zerstört.

Immer mehr Leute eint die Erkenntnis, dass die Menschheit keine Zeit mehr hat für solcherlei Eskapaden. Dies wurde im Herbst 2018 überdeutlich, als bis zu 50000 Empörte gegen die Räumung des Hambacher Forstes, eines Jahrtausende alten einzigartigen Mischwalds der für den Tagebau gerodet werden soll, protestierten. Obwohl der Rhein-Erft-Kreis mit rund zehn Prozent schon jetzt zu den waldärmsten Regionen Nordrhein-Westfalens zählt, soll auch dieses letzte Stück Natur der Profitgier des RWE-Konzerns geopfert werden. Und das, nachdem schon die Tagebaue Inden und Garzweiler für massive Umweltzerstörungen gesorgt hatten. Bereits 50000 Menschen wurden zwangsumgesiedelt, rund 150 Ortschaften sind weggebaggert worden und für immer verschwunden.

Die neue CDU-geführte Landesregierung scheint offenbar vor nichts zurück zu schrecken, damit NRW auch in Zukunft Klimakillerland Nummer Eins bleibt. Dabei scheut sie nicht davor zurück, Millionen von Steuergeldern zu zweckentfremden um eine Polizei-Armee auf harmlose Umweltschützer*innen zu hetzen. Dass es dabei um die knallharte Durchsetzung der Profit-Interessen eines einzelnen Konzerns geht, ist der eigentliche Skandal. Im Rahmen der Räumung wurden 77 Baumhäuser zerstört, 437 Menschen verhaftet und 763 Platzverweise ausgesprochen. Die Proteste gegen dieses Vorgehen waren überbordend, äußerst friedlich und ungemein fantasievoll. Obwohl sie überschattet wurden vom tragischen Tod eines jungen Journalisten, der bei der Dokumentation der Räumungen umgekommen ist. Das hat die Verantwortlichen nicht davon abgehalten, nach einer kurzen Schamfrist die Räumungen weiterzuführen um den Wald „besenrein“ zur Abholzung an RWE zu übergeben. Letztendlich war es ein Urteil des OVG Münster, das einer Eilklage des BUND entsprach und die Rodung für 2018 untersagte. Fortsetzung folgt.

„Großbetriebe der Grundstoffindustrie und Unternehmen, die wegen ihrer monopolartigen Stellung besondere Bedeutung haben, sollen in Gemeineigentum überführt werden.“ So steht es in der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen (Artikel 27). Die Zeit gebietet es, einflussreiche und Einfluss nehmende Konzerne demokratischer Kontrolle zu unterziehen. Viel zu sehr stehen dies unter dem Zwang, privaten Profit zu generieren und größtmögliche Gewinnmaximierung für die Anteilseigner zu erzeugen. Natur hat in kapitalistischen Gesellschaften keinen Wert, weil sie keinen Preis hat. Konsequenterweise bricht sich der extensive Extraktivismus weiter Bahn. Mit verheerenden Folgen für uns alle. Warum das nicht so bleiben darf, steht übrigens ebenfalls in der Landesverfassung: „Die natürlichen Lebensgrundlagen stehen unter dem Schutz des Landes, der Gemeinden und Gemeindeverbände“ (Artikel 29a). Bisweilen erschöpfen sich die Bekenntnisse der politisch Verantwortlichen in Ankündigungungsrhetorik. Sie beklagen, was sich alles ändern muss – damit sich bloß nichts ändert. Der Wiener Politikwissenschaftler Ingolfur Blühdorn kennzeichnet dies als „Widerspruch zwischen der rationalen Einsicht in die fundamentale Nicht-Nachhaltigkeit der bestehenden Verhältnisse und der festen Entschlossenheit zu deren Verteidigung“. So kann es nicht weitergehen – also lasst uns so weitermachen. Da werden medienkompatible Visionen von „intelligentem Wachstum“ oder „grünem Kapitalismus“ bemüht, welche der renommierte Sozialwissenschaftler Stephan Lessenich allesamt als Formeln kollektiven Selbstbetrugs entlarvt. Die Grünen und die Ökologiebewegung insgesamt erschöpfen sich seit jeher darin, Ausschweifungen eines Wirtschaftssystems zu kritisieren, dessen Problematik eben nicht in seinen Fehlern sondern in seinem Funktionieren besteht. Ökonomisches Wachstum und ökologische Krise bedingen einander; sie bilden Logik und Grundlage, nach der das kapitalistische Weltsystems funktioniert.

Nun gibt es nicht nur Probleme, es gibt auch Lösungen: Diversifizierung, Subsistenzwirtschaft oder regionalisierte Wirtschaftskreisläufe wären hier zu nennen. Teilen ist Besitzen für Fortgeschrittene. Machen wir’s konkret: Pflegen und Pflanzen von Nutzbäumen, gemeinsame Nutzung von Autos und Maschinen, Kochen mit Produkten aus der Region, Reparieren statt kaufen, Tauschen statt wegwerfen, Bauen mit ökologischen Materialien, Anlegen von Gemeinschaftsgärten, gemeinschaftliche Wohnformen fördern, Achtsamkeit und Selbst-Wirksamkeit zu entwickeln, Nachbarschaftshilfe auf- und ausbauen… Es muss gesamtgesellschaftlich, also sozial und ökologisch umgesteuert werden. Helfen könnten dabei radikale Begrenzungen des Ressourcenzugangs, eine Art Treuhandanstalt für Gemeingüter und ein – sozial abgefedertes – Gesundschrumpfen. Erst wenn ein nachhaltiges Bewusstsein mit effektiver gesetzgeberischer Regulatorik zusammen wirkt, sind Fortschritt und Ausweg möglich. Die fragwürdige Neigung, um jeden Preis zu produzieren und Wachstum zu generieren, ist gleichermaßen fatal wie rückwärtsgewandt. Gleiches gilt für den ungebremsten Konsumismus, der durch die hemmungslose Kommerzialisierung aller Lebensbereiche befördert wird. Wenn das Glück vom Konsum-Niveau abhängen würde, müssten wir alle in Glückseligkeit schwelgen. Dem ist aber nicht so, da es ziemlich unbefriedigend ist, sich über das, was man kauft, zu definieren. Wünsche werden nicht durch Besitz gestillt, sondern lediglich durch den Erwerb – der Trieb wirkt weiter, da keine Sättigung eintritt. Solcherlei Verhaltensmuster könnten sich durch kritisches Hinterfragen, Kosumverweigerung und Wachstumsrücknahme überwinden lassen. Zu kritisieren ist überdies der ausschweifende Zeitnutzungsfetischismus, der sich in besinnungsloser Betriebsamkeit Bahn bricht. Multitasking stellt keinen zivilisatorischen Fortschritt dar, es handelt sich vielmehr um einen Regress, mit dem zu brechen sich lohnen würde. Neben einer umweltgerechten Ökonomie, würde ein so geändertes Verhalten noch einen anderen, tiefergehenden Effekt erzeugen: Den Blick wieder vermehrt auf die wesentlichen Dinge des Lebens zu richten. Bei Seneca hieß das: Nie ist zuwenig, was genügt.